Glaube und Klima

von Anna Näf

Kaffeepausen sind eigentlich dazu da, die Hirnwindungen zu entspannen und vom Duft der gerösteten Bohnen in eine andere Welt entführt zu werden. Die Kaffeepausen, die ich während meiner Masterarbeit einlegte, haben diesen Zweck in keiner Hinsicht erfüllt. Im Aufenthaltsraum der Uni traf ich fast immer auf dieselbe Mitstudentin. Jedes Mal erzählte sie mir davon, wie schnell der Permafrost der Pole schmilzt, wie drastisch der Fischbestand der Meere abnimmt, wie viele Menschen aufgrund dieser Folgen des Klimawandels bereits leiden und wie oft sie deshalb nachts nicht schlafen konnte. Die Angst brachte sie so weit, dass sie mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten zusammen eine Brücke blockierte, um sich Gehör zu verschaffen.

Zurück an meinem Schreibtisch dröhnte es in meinem Kopf: Wie kann ich behaupten, dass Gottes Liebe mein Herz entfacht, wenn mich die Klimakrise und das damit verbundene Leid kaltlassen? Ich hatte verstanden, dass es beim Klimaschutz nicht nur um Naturschutz geht – es geht um Menschenschutz. Es geht um die Menschen, deren Lebensgrundlage wir gerade zerstören. Es geht um uns alle.

Seither sind zwei Jahre vergangen. Ich habe mich informiert, demonstriert, meinen Konsum korrigiert und kenne sie jetzt selbst: diese schlaflosen Nächte, in denen brennende Wälder und fliehende Menschen vor meinem inneren Auge aufflackern und ich mir gleichzeitig bewusst bin, dass ich selbst zum Problem beitrage. In diesen Nächten sehne ich mich zurück in die Zeit, als mich die Klimakrise noch kaltließ.

In unserer Gesellschaft lassen sich viele Arten beobachten, wie Menschen auf die Klimakrise reagieren. Dennoch sehe ich im Umgang damit dieselben Grundtendenzen, die ich selbst durchmachte: entweder die Augen vor der Krise verschließen oder aus Angst kein Auge mehr zukriegen.

Flucht oder Kampf

Dieses Verhalten könnte man mit den Instinkten vergleichen, die uns dabei helfen, auf Gefahren zu reagieren: fight or flight – fliehen oder kämpfen. Beschwichtigende Ausreden helfen uns, vor der Krise zu fliehen. Sätze wie „Panik bringt uns auch nicht weiter“ oder „Es tun ja schon alle, was sie können“ bahnen einen emotionalen Fluchtweg. Manche Fluchtwege sind auch „christlich“ ausgeschildert: „Entspann dich: Gott kümmert sich um die Welt.“ Eine solche Haltung blendet aus, welche Verantwortung Gott der Menschheit insgesamt und den Christinnen und Christen insbesondere übertragen hat. Ich nenne diese Haltung provokativ „faulen Optimismus“: Man möchte glauben, dass es gut kommt, um damit die Verantwortung von den eigenen Schultern schütteln zu können. Die Beschwichtigung tut gut. Aber es ist offensichtlich, dass diese Flucht die Probleme nicht löst: Fauler Optimismus bietet zwar einen Ausweg aus der Angst, aber nicht aus der Krise.

Das Gegenstück zum faulen Optimismus ist der pessimistische Aktivismus: aktivistisch rudern, was das Zeug hält, obwohl man auf einem Schiff sitzt, das in Kürze versinkt.

Im Jahr 2009 wurde die costa-ricanische Diplomatin Christiana Figueres auf ihrer ersten Pressekonferenz als neue Leiterin der UN-Klimaverhandlungen gefragt, ob sie ein globales Klimaschutzabkommen für möglich halte. Ihre Antwort: „Nicht zu meinen Lebzeiten.“ Auf dem Weg nach Hause wurde ihr klar: „Wenn ich auf etwas hinarbeite, das ich selbst gar nicht für möglich halte: Wie um alles in der Welt soll es dann Wirklichkeit werden?“ Sie merkte, dass sie gerade versuchte, ein Schiff zu rudern, von dem sie glaubte, dass es nicht vorankommen – vielleicht sogar untergehen – würde. Dieses Erlebnis öffnete Christiana Figueres die Augen. Sie begann, anders über die Klimakrise zu denken und zu sprechen. Und tatsächlich: Nur sechs Jahre später wurde in Paris von 195 Regierungen das Klimaabkommen unterzeichnet. Weil Christiana Figueres diesen Prozess miterlebt und angeführt hat, sagt sie heute: „‚Unmöglich‘ ist kein Fakt, sondern eine Haltung.“

Ihre Geschichte zeigt, dass es sich lohnt zu überlegen: Was für eine Haltung habe ich gegenüber der Klimakrise? Verfalle ich manchmal in faulen Optimismus oder pessimistischen Aktivismus? Wer sich seiner instinktiv-emotionalen Reaktion auf die Klimakrise nicht bewusst ist, wird unbewusst ständig von diesen Gefühlen bestimmt. Alles, was man an Informationen zu diesem Thema hört, wird man durch die Brille der eigenen emotionalen Grundhaltung filtern: Der pessimistische Aktivist wertet es als leere Versprechungen, dass sich China zu Netto-Null-Zielen verpflichtet. Die faule Optimistin vermutet Messfehler hinter den alarmierenden Studien, die von schmelzendem Permafrost berichten. Wenn sich beide Seiten ihrer emotionalen Grundhaltung nicht bewusst sind, dann bringt es auch nichts, wenn sie sich gegenseitig mehr Fakten über sterbende Tierarten und synthetischen Treibstoff an den Kopf werfen.

Wenn die optimistische Flucht und der pessimistische Kampf in eine Sackgasse führen, kann man sich fragen: Gibt es nur diese zwei Optionen? Kann uns etwas dabei helfen, eine gesunde, robuste Haltung gegenüber dem Klimawandel zu fördern? Eine Haltung, die weder dem faulen Optimismus noch dem pessimistischen Aktivismus verfällt?

Muskeln der Vorstellungskraft

Es gibt eine Sache, die der faule Optimismus und der pessimistische Aktivismus gemeinsam haben: Sie sehen die Gefahr auf sich zurollen, aber sie schauen nicht dahinter. Die faule Optimistin weicht der Gefahrenwelle aus, der pessimistische Aktivist wird von ihr überrollt – aber keiner von beiden kann sich vorstellen, was hinter der Welle liegt. Gemäß der Science-Fiction-Autorin Adrienne Maree Brown ist deshalb die wichtigste Frage, um sich aus dem lähmenden Griff der Klimakrise zu lösen: „Wie können wir die Muskeln der radikalen Vorstellungskraft kultivieren, die wir brauchen, um gemeinsam über die Angst hinauszuträumen?“ Wo finden wir Gründe dafür, an ein Leben nach der Klimakrise zu glauben? Wo finden wir Bilder dafür, wie diese Welt aussehen könnte?

Wie malen wir die Zukunft?

Auf welches Ende läuft die Welt zu? Der amerikanische Musiker und Klimaschützer Dave Matthews zeichnet ein düsteres Bild der Zukunft: „Wenn jeder Fisch, jeder Vogel, jede Blume, jeder Baum, jeder Mensch und jedes kleine Krabbeltier verschwindet und einen toten Planeten hinterlässt: Nicht einmal der Mond würde es bemerken. Die Sterne würden uns sicher nicht vermissen. Wir wären nur ein Staubkorn, das nie existiert hat. Vielleicht ist das ein Trost.“

Dieses Bild von Dave Matthews bildet einen starken Kontrast zu dem, wie biblische Autoren die Zukunft beschreiben: Selbst wenn die Erde mit all ihren Lebewesen hochkochen und explodieren würde – da ist jemand, der das Echo hört. Der sich erinnert. Der uns vermissen würde. Und der es deshalb nicht so weit kommen lässt. Gott hat diese Welt liebevoll gestaltet und hat nach der Sintflut versprochen, nie wieder zuzulassen, dass die Erde aufgrund der Bosheit der Menschen zerstört werde. Gott überlässt die Welt nicht ihrem Schicksal: Weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Überkonsum noch Unterhaltungswahn können uns von der Liebe Gottes und seiner Lebenskraft trennen. Deshalb gilt: Wenn wir ein Bild der Zukunft malen, dann sollten wir dabei die Farben der göttlichen Liebe auf die Leinwand pinseln.

Aber wie kann man sich das denn vorstellen? Wird Gott eines Tages mit dem Finger schnippen, das CO₂ aus der Luft zaubern und neue Wälder wachsen lassen? Die Antworten auf diese Fragen schimmern in verschiedenen biblischen Texten hervor. Am klarsten werden sie aber in der Auferstehung von Jesus Christus sichtbar.

Die Auferstehung als Versprechen und Bild der Zukunft

Jesus wird verhaftet, hingerichtet, betrauert, begraben und begegnet drei Tage später plötzlich wieder seinen Freunden. Gott erweckt Jesus zu neuem Leben. Er gibt damit der Welt ein Versprechen: So wie er Jesus zu neuem Leben auferweckt hat, so haucht er auch der gesamten Schöpfung neues Leben ein. Nicht nur wir Menschen sehnen uns nach Erlösung: Vom winzigen Blümchen bis zum mächtigen Adler lebt alles in einem Zustand ständiger Bedrohung. Der Tod kann mitten ins Leben einbrechen. Wir sind der Vergänglichkeit ausgesetzt. Im 8. Kapitel des Römerbriefes beschreibt Paulus, wie die Schöpfung unter ihrer Vergänglichkeit ächzt. Doch auch für sie gibt es Hoffnung: „Auch die Schöpfung wird von der Last der Vergänglichkeit befreit werden und an der Freiheit teilhaben, die den Kindern Gottes mit der künftigen Herrlichkeit geschenkt wird.“ Dave Matthews sprach von einer Welt, in der jeder Funke von Leben verschwunden ist. In der Auferstehung von Jesus verspricht uns Gott eine Welt, in der jeder Funke von Tod, Zerbrochenheit und Vergänglichkeit verschwunden sein wird.

Die Auferstehung ist aber nicht nur ein Versprechen, sie ist auch eine Art Modell dafür, wie wir uns diese „Auferstehung der Welt“ vorstellen können: Die Erde ist kein Auslaufmodell, das irgendwann im Müll landet und durch ein Paradies ersetzt wird. So wie die Narben und Erinnerungen von Jesus auch nach seiner Auferstehung noch da waren, so werden auch die Spuren der Weltgeschichte sichtbar bleiben, wenn Gott den Kosmos auferstehen lässt.

Aber Gott baut der Erde auch nicht einfach einen neuen Motor ein, damit sie genauso weiterläuft wie vorher und früher oder später wieder gegen eine Wand fährt. Wir können es uns vielmehr vorstellen, wie wenn eine Raupe zum Schmetterling wird: Aus dem, was bereits da ist, entwickelt sich etwas Neues. So wird das Versprechen der auferstehenden Neuschöpfung zu einem Gegenmittel für den faulen Optimismus und den pessimistischen Aktivismus:

  1. Man kann sich nicht faul zurücklehnen und die eigene Verantwortung an ein Jenseits abgeben: Das Jetzt, Hier und Heute zählt – denn es ist das Material, aus dem Gott die Zukunft gestaltet.
  2. Die Menschheit sitzt nicht auf einem sinkenden Schiff. In der Auferstehung schenkt uns Gott einen Blick hinter die bedrohliche Welle: das Bild einer Zukunft, in welcher das Leben den Tod endgültig besiegt.

Ausschau halten

Die Auferstehung der Welt liegt nicht erst in der Zukunft: Sie hat bereits begonnen. Wenn Jesus aus einem gierigen Steuereintreiber einen großzügigen Nachbarn macht, dann kann er auch das Herz eines profitorientierten CEOs und einer wahlergebnisorientierten Parteivorsitzenden verändern. Gott schnippt nicht einfach irgendwann mit dem Finger – er nimmt uns bereits jetzt an die Hand. Die Welt befindet sich in der Transformation von einer Raupe zum Schmetterling. Wir sind eingeladen, ein Teil dieser Transformation zu sein und nach den Spuren der göttlichen Auferstehungskraft Ausschau zu halten. Diese Auferstehungshoffnung rückt unsere emotionale Grundhaltung zurecht, sodass wir bereit sind zu handeln: Der göttlichen Liebe folgend ist es unser Auftrag als Christinnen und Christen, die Klimakrise und die damit einhergehende Angst ernst zu nehmen und ihr aktiv entgegenzuwirken. Aber gleichzeitig erfüllt uns eine standhafte Hoffnung, die uns davor bewahrt, von der Angst überrollt zu werden.

Meine eigenen „Muskeln der Vorstellungskraft“ trainiere ich oft, indem ich bete. Im Gebet kann ich meinem Ärger und meinen Ängsten Raum geben und erlebe gleichzeitig, wie Gott beginnt, mein Zukunftsbild mitzugestalten.

Ich schließe meine Augen

Ich sehe die unzureichenden weltweiten Bemühungen, die Klimakrise zu lösen, und bete: „Gott, tust du eigentlich auch was?!“

Ich spüre mein zerknülltes Herz und meine gerunzelte Stirn und bete: „Es nervt mich auch, dass ich selbst nicht mehr tue. Gott, lass mich bewegt bleiben und etwas in Bewegung setzen.“

Ich bemerke einen Hauch von Hoffnung in der Herzgegend und höre dieselben Worte, die Gott schon zu Jesaja sagte: „Seht, ich schaffe Neues, schon sprießt es, erkennt ihr es nicht?“

Anna Näf ist Theologin, Absolventin des Proclama-Kurses des Pontes Instituts und freie Mitarbeiterin. Sie lebt in Winterthur.