Francesca Lim kommt ursprünglich aus Malaysia, hat aber den Großteil ihres Erwachsenenlebens im Ausland verbracht. Ihren Bachelor in Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Rechnungswesen erwarb sie in Wellington/Neuseeland. Im Anschluss daran arbeitete sie für eine der „Big Four“-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, bevor sie als Doktorandin an die Universität zurückkehrte. Der Fokus ihres Promotionsstudiums lag auf Rechnungswesen und Wirtschaftsethik unter Berücksichtigung von Erkenntnissen aus der Theologie und den Schriften Dietrich Bonhoeffers. Nach dem Abschluss ihrer Doktorarbeit ist sie nach Wien gezogen, wo sie aktuell als Controllerin bei einem multinationalen Lebensmittelhersteller beschäftigt ist.
Frau Lim, wie haben Sie Ihr Interesse an Apologetik entwickelt und was begeistert Sie daran?
Mein Interesse an Apologetik kam aus einem starken Wunsch, zu wissen, was wahr ist und worauf man sich verlassen kann. Ich bin von Natur aus skeptisch, deshalb hatte ich immer Probleme mit dem Glauben an Gott, obwohl ich in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen bin. Erst an der Uni begannen sich langsam Antworten auf einige meiner brennendsten Fragen herauszukristallisieren – vor allem durch eine christliche Studierendenarbeit. In dieser Zeit entdeckte ich das Thema Apologetik für mich und kam zu der Überzeugung, dass es gute, robuste Gründe dafür gibt, an Gott zu glauben und auf Jesus Christus zu vertrauen.
Ich habe eine Leidenschaft für christliche Apologetik, weil wir durch sie auf einer soliden und intellektuell gründlichen Basis verstehen, was Christus zu bestimmten Themen sagt. Und ich finde, dass die Antworten, die ich bekomme, überzeugend, vernünftig und auf mein Leben anwendbar sind. Für skeptische Menschen wie mich ist Apologetik Gottes Weg, sich mir zu zeigen – sein Angebot an mich, mit den Händen zu begreifen, zu schmecken und zu sehen, dass er lebt und dass er gut ist. Deshalb bin ich auch eine begeisterte Unterstützerin der Apologetik-Arbeit des Pontes Instituts im deutschsprachigen Raum.
Was hat Sie dazu inspiriert, an einer Promotion in Wirtschaftsethik unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Theologen und Märtyrers Dietrich Bonhoeffer zu arbeiten?
Während des letzten Jahres meines Studiums befasste ich mich mit verschiedenen Forschungsansätzen und Methoden im Bereich Rechnungswesen und ich musste eine Bachelorarbeit schreiben, um mein Studium abzuschließen. Im Laufe meiner Suche nach einem Forschungsthema begegneten mir akademische Publikationen über jüdisch-christliche Perspektiven im Rechnungswesen. Ich freute mich über die Entdeckung dieses Nischenthemas und war überrascht, dass diese Arbeiten in den renommiertesten akademischen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden.
Zwei Jahre später stieß ich auf eine Biografie über Dietrich Bonhoeffer. Ich war so bewegt von Bonhoeffers Hingabe an Christus und seiner konsequenten Nachfolge unter der Herrschaft der Nazis, die ihn zuletzt sogar das Leben kostete. Nachdem ich die Biografie gelesen hatte, kaufte ich mir Bonhoeffers unvollendetes Werk „Ethik“. Bei der Lektüre seiner Manuskripte zur Ethik sah ich verschiedene Möglichkeiten, wie sich seine Gedanken auf einige der Diskussionen im Rechnungswesen und der Wirtschaftsethik, mit denen ich mich im letzten Jahr meines Bachelorstudiums beschäftigt hatte, anwenden ließen. Einige Monate später bot sich mir die Gelegenheit, mich für ein Promotionsstipendium an meiner Alma Mater zu bewerben. Meine Bewerbung war erfolgreich, ich kündigte meinen Job und verbrachte die nächsten drei Jahre damit, Bonhoeffer und Wirtschaftsethik zu studieren und darüber zu schreiben.
Wie hat sich Ihre Forschung auf Ihre Praxis im Berufsleben ausgewirkt?
Durch meine Forschung bin ich zu der tiefen Überzeugung gelangt, dass es für Christen keine Trennung zwischen „heilig“ und „profan“ gibt. Wenn Gott der Herr der ganzen Welt ist und wir als Christinnen unter seiner Herrschaft leben, dann ist er auch Herr über unsere Geschäfte, über meine buchhalterische Arbeit. Ich kann in meinen alltäglichen Aufgaben und in meinen Interaktionen mit meinen Vorgesetzten und Kolleginnen und Kollegen nach ihm und seiner Weisheit suchen. Wenn ich beobachte, wie Entscheidungen getroffen werden, die unmoralisch, unethisch oder schädlich sein könnten, weiß ich, dass Gott diese Entscheidungen wichtig sind, und ich kann ihn um die Stärke und den Mut bitten, ihnen entgegenzutreten. Meine Hoffnung ist, dass Gott mir in meiner Arbeit weiterhin den Mut gibt, konsequent das zu tun, was richtig ist und ihn ehrt. Dass er mir den Mut gibt, meiner Berufung treu zu sein, nämlich meinen Nächsten zu lieben und diese Welt gut zu verwalten, selbst dann, wenn solche Entscheidungen hohe Kosten mit sich bringen.
In der Schweiz kam es 2020 zur Abstimmung über eine Volksinitiative, die forderte, dass Unternehmen gesetzlich zu mehr Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt verpflichtet werden sollten. Was würden Sie sagen: Tragen Unternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung?
Alle Wirtschaftsbetriebe existieren in Zusammenhängen, die Auswirkungen auf das Wohlergehen von Individuen, Gemeinschaften, Staaten und der Umwelt haben, das heißt, sie existieren nicht in einem sich selbst erhaltenden Vakuum. Insbesondere in den letzten drei Jahrzehnten beobachten wir, wie Unternehmen, vor allem multinationale Konzerne, bedeutenden Einfluss gewinnen und große Macht ausüben. Unternehmen können einem Ort großen Wohlstand bringen und nachhaltig wirtschaften oder die Zerstörung der Umwelt und die Missachtung von Rechten im Namen des Profits verursachen. So gesehen haben Wirtschaftsunternehmen eine ethische und moralische Verpflichtung gegenüber Mensch und Umwelt, und es sollte verbindliche Strukturen und rechtliche Rahmenbedingungen geben, um Unternehmen in die Verantwortung zu nehmen.
Wie gehen Sie damit um, wenn die ethische Verantwortung dem Profit des Unternehmens entgegensteht?
Diese Spannung zwischen Profit und ethischen Verpflichtungen erwächst aus der Annahme, dass die Gewinnerzielung das oberste und einzige Ziel aller Unternehmen ist und dass diesem Ziel nichts im Wege stehen darf. Natürlich ist Gewinnerzielung wichtig, aber nicht als Selbstzweck – und Gewinn sollte nicht auf Kosten von moralischen und ethischen Pflichten maximiert werden. Stattdessen sollte der Profit ein Mittel zum Zweck sein, indem er wieder in das Unternehmen investiert und an diejenigen umverteilt wird, die zum Geschäftserfolg beigetragen haben. Profit sollte also Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Unternehmens, Menschen vor Ort und der Regeneration der Umwelt zugutekommen.
In der Wirtschaft werden Effizienz und Leistung belohnt. Stellt das Sie als Christin vor ein Problem?
Grundsätzlich habe ich kein Problem damit, wenn Effizienz und Leistung anerkannt und belohnt werden. Was ich problematisch finde, ist, wenn Individuen nur darüber definiert werden, was sie leisten und wie effizient sie arbeiten können. Als Menschen haben wir unermesslichen Wert, weil wir in Gottes Ebenbild geschaffen sind und von ihm geliebt werden. Das möchte ich als Christin ernst nehmen und Menschen auf diese Weise wertschätzen. Einen Gedanken von Bonhoeffer finde ich dazu außerordentlich wertvoll: „Wir müssen lernen, die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen, als auf das, was sie erleiden, anzusehen. Das einzig fruchtbare Verhältnis zu den Menschen – gerade zu den Schwachen – ist Liebe, das heißt der Wille, mit ihnen Gemeinschaft zu halten. Gott selbst hat die Menschen nicht verachtet, sondern ist Mensch geworden um der Menschen willen.“
Dieses Interview wurde von Anna Näf und Helen Hofreiter geführt.